Einleitung
Die erfolgreiche Abwicklung komplexer Bauprojekte erfordert eine enge und gut organisierte Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Als Claim Manager ist es entscheidend, nicht nur vertragliche Ansprüche zu analysieren und durchzusetzen, sondern auch präventive Strategien zur Risikominimierung zu entwickeln. In diesem Artikel werden die Unterschiede zwischen Deutschland und Finnland hinsichtlich Projektmanagement und Zusammenarbeit sowie Baukultur und Kommunikation aus einer Claim-Management-Perspektive betrachtet.
1. Projektmanagement und Zusammenarbeit: Strukturen, Vertragsmodelle und Konfliktvermeidung
Deutschland: Fragmentierte Prozesse und klassische Vertragsstrukturen
In Deutschland ist das Bauprojektmanagement stark von fragmentierten Prozessen geprägt, die durch detaillierte und oft starre Vertragsstrukturen geregelt werden. Typische Merkmale sind:
Klassische Auftragnehmer-Auftraggeber-Struktur: Die Trennung zwischen Bauherr, Planer und ausführenden Unternehmen führt häufig zu Abstimmungsproblemen und erhöhter Fehleranfälligkeit.
Festpreisverträge und VOB/B-Regelungen: Diese Verträge bieten zwar eine klare Kostensicherheit für den Bauherrn, schränken aber die Flexibilität während der Bauausführung ein.
Langwierige Genehmigungsprozesse: Verzögerungen im Genehmigungsprozess führen oft zu nachträglichen Änderungen und damit zu Claims und Nachtragsforderungen.
Hierarchische Entscheidungsprozesse: Verantwortlichkeiten sind oft klar abgegrenzt, was zu einer langsamen Reaktionsfähigkeit bei unerwarteten Problemen führt.
Claim-Management-Perspektive:
Da in Deutschland das Vertragsrecht stark reguliert ist und die Projektbeteiligten klare, oft konträre Interessen haben, kommt es regelmäßig zu Nachtragsforderungen und Streitigkeiten. Claims entstehen häufig aus Planungsfehlern, geänderten Bauabläufen oder mangelhaften Ausschreibungsunterlagen. Ein professionelles Claim Management setzt daher auf eine frühzeitige Identifikation von Risiken und eine lückenlose Dokumentation, um spätere Forderungen effektiv zu begründen oder abzuwehren.
Finnland: Integrierte Prozesse und kooperative Vertragsmodelle
Finnland verfolgt im Bauwesen einen stärker integrativen Ansatz mit modernen Vertragsmodellen, die auf Kooperation und geteilte Verantwortung setzen:
Allianzverträge und integrierte Projektabwicklung (IPA): Hier arbeiten Bauherr, Planer und ausführende Unternehmen von Anfang an als Partner zusammen und teilen Risiken und Gewinne.
Flexible Vertragsmodelle: Neben Festpreisverträgen sind auch Zielkostenverträge mit Bonus-Malus-Systemen verbreitet, die eine faire Risikoverteilung ermöglichen.
Frühe Einbindung aller Beteiligten: Durch frühzeitige Abstimmungen in der Entwurfsphase lassen sich Planungsfehler minimieren und spätere Claims vermeiden.
Hohe BIM-Durchdringung: Finnland setzt stark auf Building Information Modeling (BIM), wodurch Bauprojekte transparenter und effizienter geplant werden.
Claim-Management-Perspektive:
Da Finnland stärker auf Kooperation setzt, sind gerichtliche Auseinandersetzungen seltener als in Deutschland. Konflikte werden frühzeitig adressiert, oft im Rahmen verhandelter Lösungen innerhalb von Allianzverträgen. Dies reduziert Nachtragsforderungen erheblich. Claim Manager müssen hier weniger auf reaktive Strategien setzen, sondern vielmehr auf präventive Maßnahmen und partnerschaftliche Konfliktlösungen.
2. Baukultur und Kommunikation: Hierarchien, Konfliktlösungen und Risikomanagement
Deutschland: Formelle Strukturen und juristisch geprägte Konfliktlösungen
Die deutsche Baukultur ist stark von formellen Prozessen und klaren Verantwortlichkeiten geprägt. Dies spiegelt sich auch in der Kommunikation und Konfliktlösung wider:
Hierarchische Kommunikation: Entscheidungswege sind oft lang, was die Reaktionsgeschwindigkeit bei Problemen verringert.
Starke vertragliche Absicherung: Vertragswerke sind umfangreich und legen Verantwortlichkeiten detailliert fest. Dies führt häufig zu einer „Claim-Kultur“, in der Nachträge und Streitigkeiten zentraler Bestandteil der Zusammenarbeit sind.
Rechtliche Eskalation als übliches Mittel: In Deutschland werden Baukonflikte häufig über rechtliche Schritte geklärt, anstatt sie durch Verhandlungen frühzeitig zu lösen.
Claim-Management-Perspektive:
Claim Manager in Deutschland müssen verstärkt auf verbindliche Nachtragsvereinbarungen, detaillierte Beweissicherung und juristisch fundierte Argumentation setzen. Eine frühzeitige Einbindung von Rechtsberatern und eine genaue Dokumentation aller Vertragsänderungen sind essenziell, um finanzielle Verluste zu vermeiden.
Finnland: Offene Kommunikation und frühzeitige Konfliktlösung
Finnische Bauprojekte zeichnen sich durch eine offene und lösungsorientierte Kommunikationskultur aus:
Flache Hierarchien: Entscheidungen werden oft direkt zwischen den beteiligten Parteien getroffen, ohne lange Genehmigungswege.
Pragmatische Konfliktlösungen: Streitigkeiten werden frühzeitig in moderierten Workshops oder durch Mediatoren geklärt, wodurch teure Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.
Transparente Fehlerkultur: Fehler werden als Lernmöglichkeit betrachtet, nicht als Schuldzuweisung. Dies reduziert den Druck auf Projektbeteiligte und erhöht die Bereitschaft zur proaktiven Problemlösung.
Claim-Management-Perspektive:
Ein Claim Manager in Finnland sollte stärker auf Mediation und Verhandlungskompetenz setzen anstatt auf Eskalationsstrategien. Frühzeitige Risikoanalysen, dynamische Vertragsverhandlungen und eine enge Zusammenarbeit mit den Projektbeteiligten sind der Schlüssel, um Claims präventiv zu vermeiden.
Fazit: Herausforderungen und Chancen für das Claim Management in beiden Ländern
Während Deutschland auf vertragliche Sicherheit und klare Verantwortlichkeiten setzt, fördert Finnland eine integrierte, kooperative Zusammenarbeit. Beide Modelle haben Vor- und Nachteile:
Deutschland: Stark reguliertes Bauwesen mit hoher Planungssicherheit, aber auch hoher Nachtragshäufigkeit und komplexer Kommunikation.
Finnland: Agilere Zusammenarbeit mit weniger Claims, aber mehr Risiko für Bauunternehmen durch gemeinsame Haftung.
Für Claim Manager bedeutet dies:
In Deutschland ist eine starke vertragliche Absicherung und proaktives Nachtragsmanagement essenziell.
In Finnland sind präventive Maßnahmen, offene Kommunikation und kooperative Lösungsansätze erfolgversprechender.
Ein optimaler Ansatz könnte darin bestehen, Elemente beider Modelle zu kombinieren: Eine stärkere Integration und digitale Unterstützung in Deutschland sowie eine verbesserte Risikoverteilung und partnerschaftliche Zusammenarbeit auf finnischem Niveau.
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